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Buchhalter mit Fröhlichkeit im Herzen: Das Leben von Gottlieb Friedrich Kemmner.

Aktualisiert: 16. Juni 2020

Gottlieb Friedrich Kemmner war der Bruder meines Urgroßvaters und der Patenonkel meines Opas. Er wurde am 25. Januar 1881 in Unterensingen, Baden-Württemberg als drittes von sechs Kindern geboren. Drei Tage nach seiner Geburt wurde der Junge in Unterensingen getauft. Seine Eltern Matthäus und Fredericke Kemmner waren Bauern. Über seinen Bruder Christian Friedrich habe ich bereits berichtet.


Aus einem späteren Zeitungsartikel geht hervor, dass Gottlieb als Junge die Lateinschule in Nürtingen besucht hat. Diese wurde bereits 1481 gegründet und war eine bedeutende Schule in Württemberg, an der namhafte Lehrer unterrichteten (Quelle). Er machte im Anschluss eine kaufmännische Lehre im selben Ort und wurde Kaufmann. Ab 1900 arbeitete Gottlieb bei der Firma Heinrich Franck Söhne OHG in Ludwigsburg und war zuständig für die Finanzen der Firma. Die Firma produzierte Getreidekaffee, der u. a. unter dem Namen Kornfranck vermarktet wurde. Heutzutage kennt man diesen Kaffe als Karo-Kaffee oder Kinderkaffee.

Ludwigsburg Heinrich Franck Söhne OHG
Links neben dem Ludwigsburger Bahnhof befand sich 1910 das Gebäude der Firma Heinrich Franck Söhne OHG.

Unifranck Ludwigsburg Nestle Gottlieb Kemmner
Bei meinem Besuch in Ludwigsburg im Mai 2019 konnte ich das ehemalige Gebäude des Arbeitgebers ansehen. Noch deutlich sind die Ähren und die Kaffeemaschine zur Verzierung an der Fassade zu erkennen.

Am 1. Oktober 1902 kam Gottlieb seiner einjährigen Militärpflicht beim Grenadier Regiment 119 in Stuttgart nach. Da zu dieser Zeit kein Krieg herrschte, wurde er an der Waffe und als Krankenträger ausgebildet (Quelle). Er begann seinen Dienst als Grenadier und wurde im Laufe seiner Dienstzeit, vermutlich nach bestandener II. Schießklasse zum überzähligen Gefreiten befördert. Als überzählige Gefreite wurden die für ein Jahr freiwillig eingetretenen Soldaten bezeichnet, sie waren nicht Unteroffizierstauglich (Quelle).


Gottlieb war zu dieser Zeit 1,71m groß und kräftig. Sein Kinn war rund, seine Nase hatte eine breite Erscheinung und seine Haare wurden als blond beschrieben. Er scheint eine Narbe am linken Daumen gehabt zu haben. Wie er sich diese wohl zugezogen hatte?

Seine Fußlänge wurde mit 27cm angegeben, was einer Größe 42 entspricht (Quelle).


Während seiner einjährigen Dienstzeit scheint Gottlieb mehrfach krank gewesen zu sein. So ist in der Friedensstammrolle verzeichnet, dass er vom 20. November bis 27. Dezember 1902 krank war. Vom 27. April bis 30. Mai 1903 war er wieder krank, diesmal aufgrund einer wundgelaufenen rechten Verse und einer sich vermutlich daraus entwickelten Entzündung am rechten Fuß. Am 30. September 1903 wurde Gottlieb mit guter Führung nach Unterensingen entlassen.


Von 1914 bis 1918 wurde er als Inspektor zum Bekleidungsamt III. AK nach Berlin Spandau eingezogen. Hier lernte er seine spätere Frau Hedwig kennen. Wie und wo sich die beiden wohl kennengelernt haben?

Hedwig und Gottlieb Kemmner
Hedwig und Gottlieb Kemmner (links)

Zwischenzeitlich arbeitete Gottlieb auch für das Ludwigsburger Unternehmen im Werk Halle an der Saale und in der Zentrale in Berlin, wohin das Unternehmen 1914 den Sitz der neugegründeten Heinrich Franck Söhne GmbH verlegte (Quelle). Im Unterensinger Taufregister ist Gottlieb Kemmner als Taufzeuge für die beiden Kinder seiner Schwester Emma gelistet. Im Frühjahr 1912 wird er als Kaufmann in Ludwigsburg aufgeführt, etwas ein Jahr später im Jahr 1913 wird er als Kaufmann in Berlin beschrieben (Beschreibung : Taufen, Heiraten, Tote u Konfirmationen 1558-1979). Sein Umzug nach Berlin muss also irgendwann zwischen März 1912 und April 1913 stattgefunden haben.


Die Berliner Niederlassung befand sind laut alten Dokumenten in der Lützowstraße 102-104 (Quelle). Dort bezog das Unternehmen Maggi 1911 ein riesiges repräsentatives Gebäude, das ein Jahr zuvor erbaut wurde. Die Maggi GmbH nutzte zur damaligen Zeit nur das Vorderhaus des sogenannten Maggi-Hauses. Kornfranck mietete seine Geschäftsräume von Maggi an. Auch heute wird der Komplex von mehreren Unternehmen und Betrieben genutzt (Quelle)

Alexanderplatz Berlin 1903
Der Berliner Alexanderplatz im Jahr 1903.

Am 7. Oktober 1919 heiratete Gottlieb mit 38 Jahren seine zehn Jahre jüngere Frau Hedwig Johanna Louise Schröck. Hedwig war laut des Heiratsregisters Lehrerin. Sie wurde am 13. Februar 1891 in Spandau geboren. Ihre Eltern waren der Büchsenmacher Robert Schröck und seine Frau Hedwig. Mein Opa berichtet, dass Gottlieb’s Frau eine sehr gute Sängerin war.


Heiratsregister Ahnenforschung
Das Heiratsregister von Gottlieb Friedrich und Hedwig Johanna Louise Kemmner.

Am 20. April 1927 kam ihre Tochter Marianne zur Welt. Leider weiß ich nicht viel über sie. Mein Opa hat ihr als Junge bei den Mathematik Hausaufgaben geholfen. Mein Onkel 2. Grades, Martin, kann sich noch an Marianne erinnern. Sie war seinen Erzählungen nach Dolmetscherin bzw. Fremdsprachenkorrespondentin und konnte Englisch, Französisch und Spanisch. Eine Zeit ihres Lebens hat Marianne in Madrid, Spanien als Sekretärin verbracht. Mein Opa berichtet, dass ihr das Land, die Leute und die Mentalität gut gefallen haben. Sie hat später in Kronberg bei Frankfurt gelebt und ist in den 1960er Jahren ledig und kinderlos verstorben. Doch wie sah wohl ihr Leben aus?


Gottlieb und Hedwig waren mit Familie Kreh bekannt, die sie aus Unterensingen kannten und die zwischen April 1932 und Mai 1934 ebenfalls in Berlin lebten. Wie es der Zufall so will, hat mich im letzten Jahr Gabi gefunden, die Enkelin eben dieser Familie Kreh. In ihren alten Fotoalben konnte sie ein winziges Foto, einen sogenannten Kontaktabzug, finden, auf dem Familie Kreh und Familie Kemmner bei einem gemeinsamen Ausflug auf die Pfaueninsel in Berlin zu sehen sind. Das Original-Foto ist kaum größer als eine Briefmarke und trotzdem freue ich mich über jedes kleine Puzzleteil, dass Gottlieb's Leben weiter veranschaulicht.


Gabi's Familie Kreh ist rechts im Bild die Frau ohne Hut, das Mädchen mit Zöpfen und die beiden Jungs ganz recht und mit erhobenen Arm. Gottlieb muss also mit Tochter Marianne auf den Schultern links im Bild sitzen. Seine Frau Hedwig wird die Frau mit Hut sein.


Die Pfaueninsel ist eine kleine Insel in der Havel, unweit von Berlin und hat ihren Namen von den dort freilaufenden Pfauen erhalten (Quelle). Die beiden Familien und die Kinder hatten bei ihrem Ausflug bestimmt viel Spaß, haben gespielt, getobt und den schönen Tag genoßen.

Gottlieb Kemmner Spandau Berlin Kreh Wacker Pfaueninsel
Die Familien Kreh und Kemmner bei einem gemeinsamen Ausflug auf die Pfaueninseln (Quelle: Gabi Kreh-Brettel).

Gottlieb und Hedwig Kemmner wohnten laut des Heiratsregisters in der Seegefelder Straße 10 in Spandau, etwa 15 Kilometer entfernt von seiner Arbeitsstätte. Heute befindet sich an dieser Stelle der neue Bahnhof Berlin Spandau.


Bahnhof Berlin Spandau Gottlieb Kemmner
Der Bahnhof in Berlin Spandau steht in etwa dort, wo Gottlieb und seine Familie früher mal gewohnt haben (eigenes Foto).

Im Adressverzeichnis des Jahres 1940 ist Gottlieb unter der Adresse Seegefelder Straße 20 gelistet. Zu gerne wüsste ich, ob es sich hierbei um einen Fehler handelt, oder ob die Familie zwischenzeitlich ein paar Häuser weiter gezogen ist?


Adressbuch Berlin 1940
Im Berlin Adressverzeichnis von 1940 findet sich links unten ein Eintrag für den Buchhalter Gottlieb Kemmner in der Seegefelder Straße 20.

Bei einem Besuch in Berlin Spandau, konnte ich das Haus in der Seegefelder Straße 20 finden. Die Erker und alten Fenster sprechen dafür, dass das Haus in den 1920er Jahren oder früher gebaut worden ist - vermutlich haben Gottlieb und seine Familie in genau diesem Gebäude gewohnt. Vielleicht standen sie ab und zu an einem dieser Balkone und beobachteten das Geschehen auf der Straße.

Zufällig bin ich auch an der Stadtbibliothek vorbei gekommen und habe dort in einem historischen Buch ein altes Foto derselben Straße gefunden.

Seegefeleder Straße Gottlieb Kemmner Berlin Spandau
Die Seegefelder Straße etwa 1930 (Quelle: N.V.A. Verlag, in: Flieger, R. (2007). Spandau - Geschichte und Geschichten, S. 83).

Den Aufzeichnungen meines Opas ist folgendes zu entnehmen: „Gottlieb lebte mit seiner Familie in Berlin. Wegen der Fliegerangriffe lagerte die Firma Kornfrank, bei der er beschäftigt war, die Verwaltung nach Ludwigsburg.“ Auch die Geschichte des Unternehmens bestätigt eine Auslagerung der Berliner Verwaltung ab 1943 nach Ludwigsburg (Quelle).


„Wohnungen waren in Deutschland wegen der zerbombten Städte sehr knapp, er fand deshalb zunächst nur ein Zimmer für sich. Seine Frau Hedwig und die Tochter Marianne konnten aber auch nicht länger in Berlin bleiben. So kamen sie nach Unterensingen. Die Schwester meines Opas, Marta, und ihre Freundin holten die beiden im August 1943 mit einem Bollerwagen am Bahnhof in Unterbohingen ab. Emma Kemmner, die Schwester von Gottlieb hätte die beiden gut unterbringen können, Marta brachte zunächst beide zu ihr. Emma und ihre Tochter Else nahmen sie jedoch nicht auf, Marta blieb nichts anderes übrig als sie mit zu ihrer Familie zu nehmen, obwohl es kein freies Zimmer gab. Der Not gehorchend gab ihnen die Mutter das Zimmer meines Opas Otto. [...] Anfang Dezember zogen Hedwig und Marianne in die inzwischen in Ludwigsburg gefundene Wohnung um.“ Mein Onkel 2. Grades, Martin, kann sich noch an die Adresse der beiden erinnern: Friedensstraße 5 in Ludwigsburg.


In den 1950er Jahren in seine Frau Hedwig in Ludwigsburg gestorben und auch dort beerdigt worden.


Gottlieb blieb bis zur Erreichung der Altersgrenze bei der Heinrich Franck Söhne GmbH und arbeitete dort ganze 45 Jahre, zuletzt als Abteilungsleiter.


Im Zeitungsartikel zu Ehren seines fünfundachtzigsten Geburtstags wird beschrieben, dass sich Gottlieb einer guten Gesundheit erfreute. Seine Hobbies waren die Gartenarbeit, das Wandern und Reisen sowie die Literatur. Er war wohl häufig auf der schwäbischen Alb und im Schwarzwald wandern, war seit vielen Jahren Mitglied im Schwäbischen Albverein. Seine Lieblingsautoren waren Goethe, Fontane, Mörike und Wilhelm Schrader. Der Kirchengemeinde in Unterensingen hat Gottlieb ein Fenster des Stuttgarter Unternehmens V. Saile gestiftet, das bis heute existiert. Seine Freunde schätzten in für seine Fröhlichkeit des Herzens.


Am 28. Januar 1967, nur drei Tage nach seinem sechsundachtzigsten Geburtstag starb Gottlieb an Krebs in Ludwigsburg. Er wurde am 1. Februar in Unterensingen beigesetzt (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985).


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